Schaufenster-Diversity-Maßnahmen schaden echtem Fortschritt
Ein Kommentar von Annabelle Jenisch zur aktuellen Debatte rund um Diversität und Bro Culture.
Datum
13.02.2025
Themen
#New Work
Autor:in
Annabelle Jenisch
Ob ich einen Meinungsbeitrag schreiben würde, warum mehr Männlichkeit in Unternehmen der falsche Schritt ist – ein Plädoyer für mehr Weiblichkeit sozusagen, wurde ich gefragt. Ehrlich gesagt: nein. Denn genau hier liegt das Problem: Wir stecken fest in einer endlosen Polarisierung. Woke vs. anti-woke, Frau vs. Mann, diejenigen, die laut für mehr Diversität eintreten, vs. diejenigen, die das Patriarchat verteidigen möchten. Diese Gegensätze schaffen vor allem eines: Angriffsfläche für Polemik. Binäre Narrative erzählen sich gut. Die Folge ist Spaltung – und in diesem Fall ein Rückschritt beim Thema Diversität und Chancengleichheit in Unternehmen.
Die aktuelle Diskussion um Mark Zuckerbergs Aussagen ist dafür ein Paradebeispiel. Seine aus dem Kontext gerissenen Worte – die, wie ich finde, vor allem seine persönliche Auseinandersetzung mit Männlichkeit erkennen lassen – werden von seinesgleichen aufgegriffen und wir finden uns in einer Debatte wieder, ob dieser ganze „DE&I-Quatsch“ (Diversity, Equity & Inclusion) nicht ohnehin zu weit gegangen sei, und mündet ganz konkret darin, dass auch in Deutschland täglich weitere Unternehmen ihre Diversitäts-Bemühungen einschränken. Es gibt Beifall von der einen Seite und Fassungslosigkeit von der anderen.
Dass Vertreter einer sogenannten Bro-Culture – die individuelle Leistung und Gewinn über Respekt oder Rücksicht stellen – diesen Moment für einen Aufruf zur Rückbesinnung auf hegemoniale Maskulinität im Unternehmen nutzen, überrascht wenig. Dieses Muster sehen wir weltweit: ein Backlash, der sich durch viele Bereiche, Länder und Organisationen zieht.
„Diese Gegensätze schaffen vor allem eines: Angriffsfläche für Polemik. Binäre Narrative erzählen sich gut. Die Folge ist Spaltung – und in diesem Fall ein Rückschritt beim Thema Diversität und Chancengleichheit in Unternehmen.“
Die wahre Gefahr für Diversitätsbemühungen
Das Ärgerliche an dieser Debatte ist, dass sie wieder einmal die Frage des „Wie“ von den wichtigen Zielen – dem „Was“ – ablenkt. Dadurch erschwert sie es – wie aktuell schön zu sehen bei Meta, Microsoft, X, Google oder auch Accenture – diese Ziele zu erreichen.
Das „Was“ ist hoffentlich unstrittig: keine Toleranz für sexuelle Übergriffe oder Sexismus am Arbeitsplatz, die Förderung der besten Talente – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder anderen Merkmalen – und Perspektivenvielfalt als nachweislicher Erfolgsfaktor starker Unternehmen. Doch die Art, wie DE&I-Maßnahmen häufig umgesetzt und kommuniziert werden, bietet Angriffsfläche: blumige Sprache, Vereinfachung als rhetorisches Mittel (wie bspw. Verwendung des Begriffes “alter weißer Mann“), fehlender Dialog mit jenen, die Privilegien abgeben, oder häufig ausschließlich emotional statt datengetriebene Diskussionen und Maßnahmen. Sie machen es Gegner:innen leicht, diese Initiativen als übertrieben oder ideologisch darzustellen.
Maßnahmen für mehr Diversität – Ein Blick in die Praxis
Meine eigenen Diversitätsbemühungen im Unternehmen sind auf dem Papier erfolgreich. In Umfang, Datenschutz, Konsequenz und Ehrlichkeit – auch bei der Auseinandersetzung mit unternehmerischen Interessenskonflikten. Doch auch bei uns im Unternehmen lag der Maßstab bisher nicht hoch genug. Es geht um die Erfüllung von Quoten und das Schaffen von Angeboten für Minderheiten. Wir reden darüber, ob die Unternehmensspitze oder Programm-Initiator:innen sich besser um diskriminierte Gruppen kümmern. All das ist notwendig und sind die richtigen Maßnahmen.
Gleichzeitig gelingt es auch uns nicht immer, all jene in den Bemühungen mitzunehmen, die nicht entweder Minderheiten angehören oder explizite Fürsprecher:innen von Diversitäts-Bemühungen sind. Wir sprechen zu selten darüber, ob wir als Unternehmen wirklich besser darin werden, verschiedene Perspektiven zuzulassen, widersprüchliche Meinungen auszuhalten und Diversität flächendeckend im Alltag zu leben. Auch bei uns: Das „Wie“ macht dem „Was“ das Leben schwer.
„Wir sprechen zu selten darüber, ob wir als Unternehmen wirklich besser darin werden, verschiedene Perspektiven zuzulassen, widersprüchliche Meinungen auszuhalten und Diversität flächendeckend im Alltag zu leben.“
Ein Paradigmenwechsel ist nötig – machen wir uns das Leben nicht zusätzlich schwer
Unternehmen stehen vor enormen Herausforderungen: angespannte Märkte, Fachkräftemangel, wachsende Ansprüche an Arbeitgeber:innen, Etablierung von Nachhaltigkeit im Geschäftsmodell etc. Diese Herausforderungen erschweren Unternehmen den Alltag ohnehin. Als Geschäftsführerin habe auch ich nicht den Luxus, mich in Extremen wie „Woke vs. Wolf of Wall Street“ zu verlieren. Ich muss täglich Entscheidungen treffen, die das Fortbestehen des Unternehmens sichern und Wachstum auf eine Art begünstigt, die wir für ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig halten.
Dabei sehne ich mich nach einer Debattenkultur, die geschlechtsneutral ist, die menschenfreundlich und konstruktiv ist. Die es schafft, sich weg von den provozierenden Polen hin zu pragmatischen Lösungen zu orientieren. Die Platz für Betroffenheit hat und souverän genug ist, diese auf allen Seiten als wertvollen Input aufzunehmen. Und ich sage dies nicht in Unwissenheit um historischen Ballast und patriarchale Prägung. Sondern ich sage dies mit dem unbedingten Wunsch nach mehr Dialog über die Sache: Wie erreichen wir Chancengleichheit im Unternehmen auf eine Weise, die sich für alle inklusiv – oder zumindest ehrlich im Umgang und Dialog – mit den trade-offs anfühlt?