Markenentwicklung mit Langfristperspektive

Im Winter 2019 veränderten sich die Instagram-Inhalte der Hamburger Getränke-Marke fritz-kola dramatisch. Für einige Tage fanden junge Instagram-Nutzer:innen plötzlich schwarz-weiße Momentaufnahmen aus dem Leben von Obdachlosen in ihrem Feed, zu den jeweiligen Motiven passend mit Instagram-typischen Hashtags wie #foodporn oder #relationshipgoals versehen.

Die von fritz-kola und TLGG entwickelte Kampagne #nursoamrande rückte soziale Probleme ins Blickfeld, die in der alltäglich präsenten Instagram-Wohlfühlblase nichts zu tun hatten. Die Performance-Aussteuerung der Kampagne achtete darauf, die Fallhöhe zu den Interessen der Zielgruppe ausreichend hoch zu halten. #nursoamrande sollte vor allem die erreichen, die nur die heile Welt verfolgen. Die Performance wurde zum konzeptionellen Tool, das Targeting zum Teil der Kreation.

Datum
14.01.2021

Themen
#Performance Marketing
#Markenstrategie

Autor:in
Det Henke

Der Mehrwert ist die zentrale Richtlinie

Mit der Ausdifferenzierung von Social Media Advertising vor einigen Jahren wuchs die Bedeutung von Social Ads, Targeting und Performance Boost auch für Kreation und Redaktion. Diese Entwicklung setzt sich heute über alle Kanäle und Formate hinweg: Performance Marketing befindet sich in einem kontinuierlichen Wandel. Der kreative Anteil wächst nach wie vor, doch gleichzeitig gewinnt die Disziplin an Komplexität und strategischer Bedeutung für Marken. Zentrale Richtlinie ist nun aber der Mehrwert. Lange gültige KPIs wie reine Reichweite, Impressions, CTR und selbst Abverkauf haben an Aussagekraft verloren. Sie helfen zwar, die reine Performanceleistung einer Kampagne einzuordnen, lassen jedoch kaum Schlüsse auf die Markenwirkung und Markenentwicklung zu.

Heute setzen Marken verstärkt auf den Net Promoter Score als zentralen Erfolgsindikator. Hier ist es ganz einfach: Wenn eine Marke ihre Zielgruppe überzeugt und diese dann Werbung für die Marke macht, dann hat man das Wichtigste erreicht. Wie gut das funktioniert, lässt sich zum Beispiel über Brand-Lift-Studien herausfinden, wie sie die meisten sozialen Plattform und Werbenetzwerke anbieten. Nicht immer rennen Marketer:innen und Agenturen damit offene Türen ein: Die Angst vor möglichen negativen Ergebnissen und den darauffolgenden strategischen Fragen und Zielkonflikten ist gelegentlich groß. Doch angesichts der verwendeten Budgets — Brand-Lift-Studien liefern ab etwa 25.000 Euro aussagekräftige Ergebnisse — sind Fragen der Zielwirksamkeit und der strategischen Herangehensweise natürlich essentiell.

Zielgenaue Aussteuerung als Hebel für Relevanz

Im Medienumfeld ist organische Reichweite für Markeninhalte meist ein schöner, inzwischen aber eher milde nostalgischer Traum. Die strategisch-kreative Bedeutung der Brand Performance wird hier besonders deutlich, wenn man sie im Zusammenspiel der Disziplinen betrachtet: Die Strategie definiert die Parameter für die Markenbotschaft, die Kreation gestaltet sie und optimiert sie für die definierten Zielgruppen, die Performance stellt sicher, dass sie die richtigen Nutzer:innen im richtigen Moment und in der richtigen Dosis erreicht. Performance wird zum entscheidenden Hebel, der Relevanz erzeugt, Marken ausdefiniert — und die anderen Disziplinen durch Expertise anleitet. Wo Strategie eher auf der Meta-Ebene denkt, kann die Performance zahlengetriebene Analyse bieten. Wo die Kreation gute Storys und Ideen entwickelt, hat die Performance nicht nur die wirksamen Formate zur Hand, sondern kann mit ihrem Wissen um Trends und neue Formate zusätzlich inspirieren und — im Laufe der Kampagne — optimieren.

Und nicht nur das: Wie im erwähnten Kampagnenbeispiel #nursoamrande veredelt die Performance die Leistung der Kreation durch ihre eigene Kreativität im Hinblick auf wirksames Targeting und die genaue Aussteuerung nach Zeit, Ort, Kanal und Endgerät. Die TLGG-BARMER-Kampagne „Dribbelwelle“ brachte jungen Anspruch, bekannte Influencer:innen und originelle Bildwelt mit dem immer noch eher spießig wahrgenommen Thema Krankenversicherung zusammen. Zielgenaue Aussteuerung sorgte dafür, dass die mutige Kreation die richtigen Interessenten erreichte. So generierte die Dribbelwelle nicht nur ein breites Echo, sondern einen messbaren positiven Marken-Impact.

Ganzheitliches Zusammenspiel der Disziplinen

Die wachsenden Möglichkeiten der automatischen, algorithmusgesteuerten Ausspielung erlauben heute eine sehr feine Targetierung nach allen relevanten (also: allen) Faktoren. Dennoch empfiehlt es sich weiterhin, den menschlichen Verstand als obersten Kampagnenverantwortlichen zu bemühen. Zum einen kann an erfolgreiche Kampagnen nur anschließen, wer die Faktoren des Erfolges verstehen und replizieren kann. Zum anderen wirbt mancher Algorithmus heute noch like it’s 2011: Optimierung auf Reichweite, Impressionen, Schweinebauch — doch Algorithmus oder nicht, letztlich ist das ein Briefingproblem. So erleben wir häufig Adressable-TV-Kampagnen von Marken und Agenturen, die auf Kontaktmaximierung setzen. Wenn den Zuschauer:innen aber derselbe Inhalt mehrfach am Abend ausgespielt wird, werden auch die beste Kreatividee und das genaueste Targeting nur noch als Spam wahrgenommen — das vielleicht schlimmste, was einer Marke passieren kann, mit messbaren Folgen: Sinkende Abverkäufe, steigende Werbekosten, genervte „Nicht schon wieder“-Kommentare in den Kanälen, frisch installierte Adblocker.

Markenentwicklung ist keine Frage eines Abendprogramms. Sie ist noch nicht mal eine Frage eines Kampagnenflights. Nachhaltige Markenentwicklung wird idealerweise über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren realisiert. Die dafür nötige Reichweite kann jedoch keine beliebige Reichweite mehr sein. Sie entsteht im bewussten und limitierten Einsatz automatisierter Aussteuerung und im Zusammenspiel der Disziplinen. Das jedoch kann nur realisiert werden, wenn die strategisch-kreative Kraft der oft als prozessuale Selbstverständlichkeit wahrgenommenen Disziplin in ihrer Bedeutung ernstgenommen und bewusst genutzt wird.

 

Detlef Henke ist Head of Brand Performance bei TLGG.