El Bulli statt McDonald‘s
Nicht nur die Märkte, in denen Unternehmen agieren, haben sich massiv verändert. Auch Berater:innen müssen Mindset und Ansatz an neue Realitäten anpassen. Was heißt das für uns?
Datum
06.05.2021
Themen
#Finance
Autor:in
Max Orgeldinger
Vor acht Jahren, im Jahr 2013, haben wir als absolute Außenseiter:innen unsere ersten Projekte im Bereich Unternehmensstrategie auf Vorstandsebene an Land gezogen. Als der digitale Wandel in den Vordergrund rückte, war unsere authentisch-digitale Perspektive interessant genug, um uns diese Chance zu geben – obwohl wir das „New Kid on the Block“ waren. Von da an reifte der Markt rasant und wir mit ihm. Wir wuchsen und lernten, welche Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Codes wir von der alten Garde übernehmen müssen – und was zur Diskussion stand.
Da die Kund:innen mit mehr Komplexität und Widersprüchen konfrontiert werden, müssen auch ihre Partner:innen (also wir) reagieren und dabei oft vermeintliche Widersprüche lösen. Wir sehen, dass sich unsere Kund:innen frisches, unkonventionelles Denken wünschen, das aber gleichzeitig auf Expertise und Erfahrung basiert. Sie suchen eine systemische, holistische Sichtweise, die auf einer fundierten Theorie basiert, ohne dass diese dem Blick für die Details und der eigentlichen Arbeit im Wege steht. Sie suchen die Balance zwischen einzigartigen, maßgeschneiderten Antworten und der Anwendung standardisierter Methoden, die die Kosten im Rahmen halten. Neue Projekte müssen schnell und schlank vorankommen, aber bei Bedarf auch skalierbar sein.
Sukiyabashi Jiro, El Bulli oder McDonald’s?
Das erfordert ein ausgeprägtes Verständnis für das Geschäft und seine Zahlen. Aber man darf dabei nie die Menschen im Unternehmen oder die Gesellschaft aus den Augen verlieren. Berater:innen sollten nahbar, aber dennoch professionell sein, sie sollten ehrlich sein, auch wenn das unbequem sein kann. Und sie sollten trotzdem immer in der Lage sein, die Organisation zu motivieren und die Skeptiker:innen zu überzeugen. Berater:innen sind im besten Fall immer nur eine Nachricht entfernt, wenn sie gebraucht werden, aber arbeiten hart daran, sich selbst entbehrlich zu machen.
All das wollen wir sein. Und ich glaube, wir sind all das schon gewesen. Wenn auch nicht immer zur gleichen Zeit.
Um herauszufinden, wie man mit diesen Widersprüchen umgeht, hilft vielleicht der Vergleich mit der Gastronomie. Auch dort müssen Kund:innen entscheiden, was sie kaufen wollen — und Dienstleistungsunternehmen, entscheiden, wer sie sein wollen. Kurz: Sind wir mehr Sukiyabashi Jiro, El Bulli oder McDonald’s? Bear with me.
Sukiyabashi Jiro ist legendär für seine Hingabe zu Sushi. Seit über 60 Jahren konzentrieren er und sein Team sich auf nichts anderes als das essentielle Sushi-Erlebnis — und er behauptet, immer noch jeden Tag dazuzulernen. Wo Jiro seine Meisterschaft durch Fokussierung erreicht hat, hat das Team von El Bulli (dem einst berühmtesten Restaurant der Welt und Kreativzentrum der Haute Cuisine) dies durch Experimentieren, Neuerfinden und das Einreißen von Mauern zwischen Disziplinen erreicht. Bleibt McDonald’s — das vergleichsweise vorhersehbar und erschwinglich ist.
Starke Kernkompetenzen und ein ständig wechselndes Menü
Wie viele reife Märkte wird auch die Dienstleistungsbranche immer komplexer, während sie gleichzeitig kommodifiziert, entbündelt und neu gebündelt wird. Noch vor 50 Jahren ließ sich die Mehrheit der Dienstleistungsunternehmen leicht in eine von drei Kategorien einordnen: Werbung, Buchhaltung oder Beratung. Heute sind diese Grenzen gefallen, und es sind Hunderte von Unterkategorien innerhalb, über und jenseits dieser drei Bereiche entstanden. Da immer mehr Firmen in den gleichen Kategorien konkurrieren, können Kund:innen — wenn sie denn wollen — standardisierte Dienstleistungen zu niedrigen Preisen erhalten.
Der Weg über die Commodity-Angebote hinaus liegt für die Jiros ihrer Branche in einer starken Konzentration auf einen Bereich. Kund:innen können heute zwischen Branchen- oder Funktionsspezialist:innen wählen, die Jahre damit verbringen, ihre Fähigkeiten zu verfeinern. Und diese Nischen werden immer tiefer und kleinteiliger. Sie bieten aber auch Chancen für neue Marktteilnehmer:innen und Lösungen. Tools wie Miro oder Mural ersetzen zwar keine qualifizierten Moderator:innen, aber ihre Templates helfen weiter — und reichen in manchen Fällen vielleicht sogar aus. CB Insights, Glassdollar oder spezialisiertere Angebote wie 2pm ersetzen keine maßgeschneiderte Recherche, aber sie geben einen brauchbaren Überblick.
Standardisierte Ansätze werden jedoch nie 100 Prozent der Bedürfnisse und Fragen von Kund:innen abdecken können. Das lässt Raum für einen Ansatz, der maßgeschneidert ist und alle relevanten Kompetenzen und Lösungen zusammenführt und orchestriert. Genau hier fühlen wir uns zu Hause. Wie El Bulli glauben wir daran, auf starken Kernkompetenzen aufzubauen, um ein ständig wechselndes Menü kreativer Lösungen zu schaffen. Wir stimmen unsere Herangehensweise auf den jeweiligen Kontext ab, aber bleiben immer unkonventionell.
Aufopfern, was wir sind,
für das, was wir werden können
Um dieses Versprechen einzulösen, braucht es ein vielfältiges Team von Menschen mit den notwendigen Fähigkeiten. Es braucht Berater:innen, die individuelle Stärken haben und gemeinsam ein Team bilden, das alles mitbringt. Wir müssen starke Netzwerker:innen sein, sowohl im eigenen Team als auch draußen in der Welt, um genau diejenigen zu finden und zusammenzubringen, die die anstehende Aufgabe am besten lösen können.
Und es erfordert ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Frei nach Charles Du Bois: Wir müssen jederzeit in der Lage sein, das, was wir sind, für das zu opfern, was wir werden können. Die Grundlage dafür sind die richtigen Leute und das richtige Betriebssystem: Strukturen, Anreize und Werkzeuge, die es Teams ermöglichen, unternehmerisch zu handeln und Risiken einzugehen. Darauf haben wir uns in den vergangenen Jahren konzentriert, aber das ist ein Thema für ein anderes Update. Vor allem aber haben wir ein Verständnis für die Branche entwickelt und unseren Platz darin gefunden. Und wie die großen Köch:innen lernen auch wir immer noch jeden Tag dazu.
Max Orgeldinger ist Managing Director von TLGG Consulting